„Im Rausch der Raserei“ lautete die Überschrift über einen Artikel in einer Samstagsausgabe der Rheinischen Post. Diese Überschrift hat mich neugierig gemacht. Ich las den Artikel und konnte vieles nachempfinden und auch bejahen. In diesem Artikel geht es um ein Buch, das der Soziologe Hartmut Rosa (Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena) zu unserer modernen Gesellschaft geschrieben hat. Er analysiert unser Leben, das immer rasanter wird. Niemand scheint mehr Zeit zu haben. Das Lebensglück des Menschen sei gefährdet. Nach den zwei Jahren der Corona-Pandemie hat das Leben wieder Fahrt aufgenommen. Vielleicht noch etwas rasanter und schneller als vor der Pandemie, weil man Versäumtes nachholen möchte.
Einen Abschnitt aus diesem Artikel der RP möchte ich zur Verdeutlichung anfügen: „Die Menschen, jüngere zumal, sind Wellenreiter auf dem Meer der Gelegenheiten, oder, wie Rosa es nennt: Drifter. Drifter legen sich nicht mehr fest. Der Drifter ist der Typus unserer Zeit, und der Drifter, sagt Rosa, ist ziemlich asozial. Man kann sich auf ihn nicht verlassen, und manchmal gerät er selber in die Krise, weil er keine klaren Prioritäten hat und sich nicht entscheiden kann. Er verschwindet im Tempodrom. Drifter glauben nicht mehr an das Gemeinwesen und auch nicht an die Kraft der politischen Gestaltung. Drifter haben keine Zeit für Demokratie und Liebe, sie binden sich nicht, sind unfrei, fixiert auf das, was kommen könnte.“
Immer mehr muss man erleben: Ist das eine gerade vorbei, muss das nächste wieder folgen. Alles steht gleichberechtigt nebeneinander. Nur keine Chance, keine Gelegenheit verpassen. Möglichst viel von dem, was angeboten wird, mitnehmen. Und das wird nach der Pandemie wieder immer mehr.
Der Artikel endet mit der Aufforderung an die Leser, diese Beschleunigung des Lebens durch „Entschleunigung“ ein Ende zu bereiten und das möglichst rasch. Denn die Zeit drängt, da der Mensch im Prozess der Beschleunigung seiner verlustig gehen kann. Doch wie kann Entschleunigung aussehen??
Ich habe eine Antwort gefunden: Unsere Gottesdienste sind ein Entschleunigungsprogramm. Wir steigen für eine Zeit aus dem Rennwagen, der immer schneller fährt. Machen Halt! Legen einen Boxenstopp ein! Und treten in eine andere Welt ein, eine Welt, die Himmel und Erde miteinander verbinden und die das Zeitliche überschreitet, ja das Zeitliche für einige Zeit außer Kraft setzt. Gottesdienst will feiern. Gottesdienst will den Alltag übersteigen. Gottesdienst will etwas vom Ewigen vermitteln.
So berührt es mich immer wieder, wenn Menschen zu mir kommen und sagen: „Die Messe darf nur 45 Minuten dauern!“ Auf dem Hintergrund des RP-Artikels frage ich mich, ob diese Menschen schon Opfer des Beschleunigungsrausches unserer Zeit sind? Ob sie es schon verlernt haben, sich Zeit für Gott und sein Lob zu nehmen? Ich antworte mitunter: „Eine Stunde in der Woche sollte man schon Zeit für unseren Herrn haben!“ Und denke: Eigentlich sollte es noch viel mehr sein.
Herzliche Einladung zur Entschleunigung…
Ralf Lamers, Pfr.