Impuls des Monats Mai 2023

Auferstehung mal anders buchstabiert:
mit den Worten einer Lyrikerin.
Der abgedruckte Text stammt aus der Feder von Marie Luise Kaschnitz (1901‑1974). Tod, Auferweckung und Leben nach dem Tod gehören zu den wichtigsten Themen des schriftstellerischen Wirkens der bekennenden evangelischen Christin, die sich freilich niemals als »christliche Dichterin« verstanden hat. Das Gedicht »Auferstehung« stammt aus dem Gedichtband »Dein Schweigen ‑ Meine Stimme« von 1962, der sich insgesamt vor allem mit dem Problem des Weiterlebens der Dichterin nach dem Tod ihres Ehemannes auseinander setzt.

AUFERSTEHUNG

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.

Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Auferstehung ist in diesem Gedicht ein Ereignis, das sich nicht nach dem Tod, sondern mitten im Alltag ereignet. Es trifft uns »mit Haut und Haar«, ganz real, aber nicht so, dass sich die Welt deshalb sofort radikal verändern würde ‑ davon sprechen die ersten drei Strophen des Gedichtes. Keine Flucht in ein vermeintliches »Paradies« (»Fata Morgana von Palmen«), keine biblische inspirierte Vision von zahm gewordenen Raubtieren ‑ Auferstehung betrifft »nur das Gewohnte«. Kein Fallen aus der Zeit, sondern ein Bleiben in diesem Körper, in dieser raum‑zeitlichen Wirklichkeit. Die Schluss‑Strophe versucht schließlich nicht nur Absagen an »falsche« Auferstehungsbilder zu zeichnen, sondern eigene positive Setzungen auszuprobieren: »Leicht« fühlen und wissen sich Menschen, die solche Erfahrungen machen »unverwundbar« und »geordnet« nach nicht von Menschen bestimmter Ordnung. Diese Leichtigkeit, Unverwundbarkeit und Ordnung ist gegründet in dem Gefühl, aufgenommen zu sein in ein »Haus aus Licht«, nicht im Sinne einer Entrückung, sondern im Gefühl einer »Vorwegnahme«. Mit diesem Begriff deutet die Lyrikerin auf eine andere Dimension. Zwar beschreibt ihre Auferstehung ganz und gar ein diesseitiges Ereignis im Alltag, in unserem Körper und unserem Umfeld, aber was dort erfahren wird, ist »Vorwegnahme« einer anderen Realität. Auferstehung im Leben ist so Vorerfahrung eines anderen Seins, das selbst nicht näher beschrieben wird.

Ist die beschriebene »Auferstehung« im Blick auf das christliche Bekenntnis eine Zurücknahme, eine Enttäuschung, ein »Zuwenig«? In dem thematisch ganz eng mit diesem Text verwandten Gedicht aus dem Band »Kein Zauberspruch« von 1972 mit dem Titel »Ein Leben nach dem Tode« weist Kaschnitz solche Anfragen zurück. Dort schildert sie in eigenen Bildern ihre Hoffnung auf ein »Jenseits«. Die Schlussverse des Gedichtes passen auch gut auf unseren Text: »Mehr also fragen die Frager / Erwarten Sie nicht nach dem Tode?
Und ich antworte / Weniger nicht.“

aus: Langenhorst, Gedichte zur Bibel, München 2001

 Ich hoffe, dass Sie, liebe Leserin und lieber Leser, etwas von dem „Haus aus Licht“, das Kaschnitz in ihrem Gedicht andeutet, in ihrem Leben erfahren durften bzw. dürfen. Die Auferstehung Jesu ist Unterpfand für die Erfahrung des Jenseitigen im Diesseits. Denn er ist wahrhaft auferstanden, sagt die Bibel und für dieses Bekenntnis haben Menschen Zeugnis abgelegt bis auf den heutigen Tag…

Ralf Lamers, Pastor