Der Künstler Jonathan Borofsky hat es geschaffen für die Documenta 1992 in Kassel. „Man walking to the sky“ – „Ein Mann wandert zum Himmel“ – so hat er sein Kunstwerk genannt. Es kam sehr gut an bei den Menschen in Kassel und so hat die Stadt es gekauft und auf dem freien Platz vor dem Kasseler Hauptbahnhof aufgestellt. Dort zieht der „Himmelsstürmer“, wie die Einwohner*innen von Kassel sagen, alle Blicke auf sich. Es ist ein einfaches und doch bedeutsames Kunstwerk, mit dem der Künstler sagen will:
Der Mensch strebt in blindem Fortschrittsoptimismus gen Himmel, ohne sich um die Konsequenzen für sein Vorwärtsstreben zu kümmern. Aber die Menschen in Kassel sehen das Kunstwerk als Hoffnungssymbol. An einer glatten, aufgerichteten 25 Meter langen Stahlsäule schreitet ein Mensch nach oben, entschlossen, als gäbe es keine Schwerkraft, kein irdisches Gesetz. Er schreitet Richtung Himmel und bald wird er auch die Säule zurücklassen, die letzte irdische Verbindung. Er wird einfach am Horizont verschwinden über den Wolken, wo die Freiheit grenzenlos sein muss. Wer seinen Blick sehnsüchtig in die gleiche Richtung wendet, der spürt: Dieser Himmelsstürmer ist begnadet, er ist heraus aus allem, nichts Irdisches hält ihn mehr. Und der Betrachter fragt sich, was ihn zurückhält und nicht Himmelsstürmer sein lässt. Im Betrachten des Himmelsstürmers spüren wir die Enge, die uns gefangen hält, die irdischen Dinge, die uns plagen und keinen Raum lassen für die Sehnsucht nach Freiheit und Zukunft.
Im August feiern wir unser höchstes Marienfest, ein Zukunftsfest, das Fest „Maria Himmelfahrt“, ein besonderes Fest auch für unsere Kirche in Hamminkeln, die danach benannt ist. Als erste der Menschen ist Maria zur endgültigen Vollendung gekommen. Gott hat sie erhöht und ihr Leben mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen. Ihr Weg dorthin war geprägt von Enttäuschung und Leid, aber auch von Hoffnung und Freude, von Gelingen und Versagen, von Glauben und Zweifel. Sie hat zugelassen, dass Gott in ihr Leben eingreift. Glauben wir, dass auch unser Weg ein Weg zur Vollendung sein wird? Das Fest Maria Himmelfahrt ist auch ein Kunstwerk, ein Kunstwerk Gottes an uns Menschen. Es weist hin auf Jesus, der uns den Himmel erschlossen hat, der zu enge Kategorien gesprengt hat, der uns eine neue Dimension gegeben hat: den offenen Himmel. Und so steht Himmel für Offenheit und für Hoffnung auf einen Horizont, hinter dem es weitergeht. Er ist bildlicher Wohnort Gottes und Raum seiner Lebensfülle, die allen verheißen ist, die an ihn glauben. Das Fest Maria Himmelfahrt ist ein Kunstwerk, jedoch nicht aus Stein und Stahl wie der Himmelsstürmer in Kassel, um unseren Blick, unsere Sehnsucht, unser Leben nach oben zu lenken. Das Fest gibt uns eine neue Perspektive, eine neue Weltsicht und Himmelsgewissheit in schwierigen Zeiten. Wir treten heraus aus der Enge in die Weite und Freiheit eines neuen Glaubens, ein Glaube, der an das Leben glaubt, der nach oben in den Himmel schaut und doch Schritt für Schritt Spuren in diese Erde hineinzeichnet.
Die Apostelgeschichte berichtet von einer entscheidenden Frage. „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor. Habt ihr nichts Besseres zu tun?“ Die Antwort der Apostel ist ihr Weg auf dieser Erde, sind die Geschichten ihres Lebens und Glaubens bis an die Enden der Erde. Sie durchbrechen die Grenzen dieser Erde und leben Auferstehung, Evangelium, frohe Botschaft mit Leib und Seele, wie Maria. Sie leben in die Richtung, in die sie von nun an schauen: auf Jesus Christus.